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Besuch in Rumänien (Juli 2016)

Eine große Chance: eingeladen bei Roma, eingeladen einige Roma zu besuchen, Roma, die ansonsten tagaus tagein um ihr Überleben in Österreich kämpfen. Sie arbeiten hier als Zeitungsverkäufer, als Musiker, als Gelegenheitsarbeiter, einige betteln.

Eine große Chance, einmal ein bisschen hinter die Kulissen zu schauen, Familien zu besuchen, Hintergründe zu eruieren: Warum kommen immer  mehr Roma in den Westen?

Die Gerüchte von gut finanzierten Romapalästen, Gerüchte, dass ein jeder, der wolle, Arbeit finden könnte, Gerüchte um organisierte Bettelei u.a.m. konnten nicht bestätigt werden.

Was uns aber auf Schritt und Tritt verfolgte, offen ausgesprochen oder auch nur insgeheim gedacht, war die Verachtung der Mehrheitsgesellschaft, manchmal  auch der Hass, der gegen Roma aufgebracht wird. Egal, ob sie bitter arm sind, egal ob sie ein bescheidenes Leben führen, egal ob sie arbeiten, betteln,  ihre Sachen feil bieten, egal, ob sie in einem Slum wohnen oder auch in einem der wenigen, für uns kitschig anmutenden Paläste wohnen, ob gut gekleidet oder schlecht gekleidet, Verachtung, Hass, Antiziganismus schlägt ihnen entgegen. Auch als  Besucher bekommt man das mit, auf Schritt und Tritt.

Wir, eine kleine Reisegruppe, Anna und Georg (Journalisten), Vroni und ich, alle aktiv im Waldhüttl, einer Herberge für Roma, Pilger und andere. Wir alle kannten und kennen die Roma  aus Rumänien schon lange. Uns verbindet Freundschaft und Vertrauen, wir kennen deren Lebensschicksale in Österreich, die Winter, die sie in Zelten am Stadtrand oder unter Brücken verbrachten, die Wochen, die sie eng aneinander gedrängt in den Autos verbrachten. Wir kennen auch deren Vertreibungen von legalen Parkplätzen. Auch wenn sie vor den Einheimischen da waren, sie wurden vertrieben, weil diese Plätze für die „Unsrigen“ sind, eben nicht für Ausländer. Wir kennen auch die Nächte, die sie auf dem Boden der Kapelle des Caritas Integrationshauses verbrachten. Seit ca. 3 Jahren haben diese rumänischen Romafamilien ca. 9 Herbergsplätze im Waldhüttl. Alle 6, 7 Monate fahren sie wieder heim, fahren sie in ihre Heimat, um ihre Familien wieder zu treffen, und ihnen auch ein bisschen Geld zu bringen. Die Roma erwarteten unseren Besuch.

Es waren lange 2000 km, endlich in der Nähe von Bukarest, endlich in der Gemeinde Pitesti und Titesti. Wir hatten wage Angaben, versuchten wiederholt und erfolglos die Mobilnummern, die uns zur Verfügung standen. Niemand meldete sich, niemand hob ab. Erst danach kapierten wir, dass in manchen Siedlungsräumen, vornehmlich in den hintersten Tälern kein Handyempfang mehr ist. Am Rande der Täler gibt es eben keinen Empfang mehr. Nach längerem hin und her fragten wir in der Abenddämmerung eine Romafamilie im Gebiet von Valea Manastiri nach dem Mann, den dort alle kennen: Vasile Alu Banu. Der Gefragte fragte wohl sehr misstrauisch, warum wir zu ihm wollten. Als ich die Namen seiner Familienangehörigen aufzählen konnte, überzog das finstere Gesicht des Mannes eine gewisse Vertrautheit und er bat uns ihm zu folgen, bis zu einer Kreuzung. Vor einem Geschäft mit Bar standen ein paar Dutzend Romamänner. Unter ihnen auch ein Freund, ein Rom aus Innsbruck. Welch Glück. 

Wir besuchten gemeinsam die erste Familie. Sie erwarteten uns. Neben einem eingestürzten Lehmhaus, stand ein bescheidener Bau, aus Ytong, ungefähr 5m x 10m, Ytong sei billiger als Ziegel. Normal bestehen die kleinen Häuschen aus 2 Räumen: Küche und Schlafzimmer. Ein Ofen dient zum Kochen und auch zur Erwärmung in den kalten Wintermonaten. Alles war aufgeräumt, vieles war neu gestrichen, ein paar Teppiche hingen an der Wand. Wir nahmen auf den Betten Platz, erzählten von unserer Reise. Vasile und seine Frau erzählten von der Familie, nannten uns die vielen Namen der vielen Angehörigen und machten uns Kaffee. Eine arme Familie in einer Romasiedlung in einem Tal. Bei der nächsten Familie kamen wir in eine größeres Haus, in einer sg. gemischten Siedlung: dort wohnen Rumänen und auch ein paar Romafamilien.

Diese Unterscheidung in Roma und Rumänen fiel noch sehr oft. Ein Zitat kam mir wieder in Erinnerung „In Rumänien hat der letzte, vom Westen als verlässlicher Partner wohl angesehene Staatspräsident Trjan Basecu verlangt, das Wort ‚Zigeuner‘ wieder als offizielle Bezeichnung der Volksgruppe einzuführen, weil ‚Roma‘ und ‚Romana‘ (Rumänisch) zu ähnlich klingen, weswegen die anständigen Rumänen Gefahr liefen, außerhalb ihres Landes mit den dreckigen Roma identifiziert zu werden.“ (Karl Markus Gauß in Thurner Erika, Elisabeth Hussl u.a. „Roma und Travellers. Identitäten im Wandel“ Innsbruck 2015 S,10)). Der Nachbar Zsolt Bayer. Ideologe der Regierungspartei Fidesz konnte die Roma ungestraft als „Tiere“ bezeichnen „unwürdig mit Menschen zu leben“ (vgl ebd S 9) 

Zurück zum größeren Haus: die ganze Familie war versammelt, um uns zu begrüßen. Die Männer und Kinder im Freien, die Frauen in der Küche. Das kleine Anwesen hatte einen Garten mit Gemüse und Mais und Gefieder. Das Haus hatte noch eine Besonderheit: es hatte verschiedenste Eingänge von außen: Räume für verschiedene jüngere Familien, auch für die Familien, die im Ausland ihren Unterhalt verdienen und auch etwas für die Großfamilie beitragen. In dieser Familie sprachen die Leute rumänisch, italienisch, deutsch und französisch.

Ghiorghe, das Familienoberhaupt, und seine Frau empfingen uns herzlich, tischten auf, wiesen uns einen wunderschönen Raum zu, lasen uns die Wünsche von den Augen ab. Ein paar Tage später schlachteten sie sogar ein Schaf, kochten das Fleisch im Kessel auf . Gemeinsam, um einen großen Tisch aßen wir, familiär und ohne Besteck. Wir formten mit dem Polenta kleine Löffel und nahmen damit Fleisch und Sauce. Ghiorghe und die Angehörigen erzählten uns nun viel von ihrem Leben, von den Lebensgewohnheiten, von den Freuden des Lebens, aber auch von den Sorgen. Obwohl die Familie sonst keinen Alkohol trinkt, (davon später)  brachten sie uns Bier, weil sie wüssten, dass   wir das so gerne hätten .

Am wichtigsten sei ihnen die Familie, wichtig, dass sie im Sommer zusammenkämen. Die meisten Familien sind wohl patriarchalisch organisiert. Die Aufgaben sind wohl klar getrennt, es ist auch klar, wer wo das Sagen hat. Kinder stehen den Eltern zu Diensten. Der Umgang mit den Eltern ist sehr respektvoll. An den kleinen Kindern scheinen sich alle zu freuen, sie tollen im Hof herum, spielen und lärmen, zwischendurch werden die Kinder geschimpft oder liebkost. Immer wieder bekunden die Erwachsenen den Kindern gegenüber Zärtlichkeiten und kleine Schmusereien. Ansonsten herrscht buntes Treiben, die Männer arbeiten irgendwo, die Frauen besorgen den Haushalt.

Ein Rundgang in Manastiri eröffnet uns neue Perspektiven. Wir besuchten das Kloster, eine wunderschöne Kirche aus dem 16 Jh. reichhaltig ausgestattet mit Ikonen. Ein verheirateter Priester und ein Bruder leben dort. Es sei aber die orthodoxe Kirche der Rumänen, nicht die der Roma. Die Kirche der Roma, wir sahen sie von außen: ein bescheidener großer Versammlungssaal befindet sich in ca. 1 km Entfernung. In der Nähe ist auch der Friedhof der Roma: arm und z.T. verfallen, ganz am Ende des Tales. Der orthodoxe Friedhof, der für die Rumänen, liegt in der Nähe der Kirche, die Gräber z.T. gepflegt, fast ein bisschen wohlhabend. Rückfragen ergaben, dass die Roma fast alle in die evangelikale Kirche gehen. Sie interpretieren die Bibel z.T. sehr wörtlich, vertrauen auf die Gebete in pfingstlerischer Art. Es wird geklagt, auch geweint, einige kommen auch in Trance. All das Elend wird Gott geklagt, Bitten werden eindringlich gebetet. Die Religion verlangt von ihren Anhängern auch ein moralisch streng geordnetes Verhalten: kein Alkohol, keine weltliche Musik, kein Tanz, viel Gebet. Gelehrt wird die Liebe Gottes, gelehrt wird der Respekt vor allen Menschen. Auch wenn den Roma viele Böses antun, hassen darf man nicht. Auch wenn einige Roma stehlen, ein wildes Leben führen: das Beispiel von Jesus soll sie ermutigen ein ordentliches Leben zu führen. Immer wieder wird vom liebenden Jesus geredet. Bilder von Jesus, Gott, Kreuze, Ikonen… das wird man in den Wohnungen der strengen Evangelikalen kaum finden. Von den orthodoxen, katholischen, reformierten Christen wurde anerkennend gesprochen, vielleicht auch, weil ich katholisch bin.

In Hinblick auf die Vergangenheit, wird im Allgemeinen bei Roma von der kommunistischen Ära auch positiv gesprochen. Unter Diktator Nicolae Ceaușescu hätten noch alle Arbeit gehabt, man konnte auch die Kinder in die Schule schicken. Es sei  besser gewesen. Die älteren Leute erinnern sich aber auch daran, dass alles rationiert war, dass man aber nicht Hunger leiden musste. Bei er Besichtigung des Palastes des Diktators Ceausescu begleitete uns ein Rom, Aron. Es war sein erster Bukarest Besuch. Bei der Besichtigung schüttelte er nur den Kopf:

Ca. 20 Millionen Menschen zählt die Gesamtbevölkerung Rumäniens. Davon sind ca. 700.000 Roma.Verschiedene Romagruppen gehen z.T. verschiedenen Gewerben nach. Die Lovari waren oder sind Pferdehändler, die Calderase Kesselflicker, die Lautari Musiker,  die Ciuari Siebmacher, die Lingurani Löffelmacher. Dann gäbe es noch die Rudari, die Chorachai u.a.m.Unsere Freunde meinten, dass die Gruppen alle sehr verschieden wären, dass auch die Bräuche und die Sprache verschieden wären. Was die meisten eint: sie leben am Rand der Gesellschaft, haben eine niedrige Lebenserwartung und werden meistens diskriminiert.

Der Besuch half ein bisschen die Hintergründe zu verstehen. Titesti ist weit weg. Es braucht wohl viel Not und Verzweiflung, um die Familie, um die Heimat zu verlassen. Der Überlebenskampf scheint die Motivation zu sein.

Eine politische Nachbemerkung: wenn die Roma nicht ausgegrenzt wären, wenn sie Chancen am rumänischen Arbeitsmarkt hätten, wenn Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssysteme auch die Roma mit einschließen würde – es gäbe weniger ArmutsmigrantInnen. Dem ist aber nicht so.

Problemlösungen für Armutsmigranten liegen nicht in nationalen Abschottungen, noch weniger in Abschiebungen, Vertreibungen und Verbotskatalogen. Erschreckend sind die Zunahme von Übergriffen auf Romasiedlungen und Roma auf der Straße: in deren Heimatländern und zunehmend auch in Österreich. Auch deren Wohn-, Bildungs-, Gesundheitssituationen in Österreich sind prekär. Deren Chancen am Arbeitsmarkt sind minimal.

Problemlösungen bedürfen einer Kreativität: die Roma, die hier leben, suchen und kämpfen um das Überleben. Es wäre eine Hilfe, wenn sie auf den Märkten Produkte feilbieten könnten, wenn sie Musik machen dürften, wenn sie in der Recyclingindustrie wenigstens einen kleinen Platz bekämen. Und wenn der Platz am Rande der Gesellschaft ist, besser als ausgeschlossen zu werden, besser als an den Mullhaufen der Gesellschaft verwiesen zu werden.

Der Besuch half ein bisschen, die Roma ein bisschen mehr zu verstehen: es sind unsere Mitmenschen.