Von Widerstand, Ideenfreiheit und den Früchten gemeinschaftlicher Arbeit
In der vierten Ausgabe der Zeitschrift „Original. Zeit für Lebenskultur“ hat Anna Greissing folgenden Artikel über das WALDhüttl verfasst:
Das Waldhüttl Mentlberg: Von der Ursprungsidee einer Unterkunft für „Menschen ohne Heimat“ entwickelte sich das Projekt in dem es um das Teilen von Arbeit und Er- trag, vor allem aber um die Begegnung mit dem anderen geht. Seit 2012 auch zu einem Ort für Gärtner, Naturliebhaber, Flüchtlinge, Pilger oder Reisende.
Eng aneinander sitzen sie um das Feuer herum, um sich zu wärmen und die Glut des Lebens zu spüren. Khaled, ein Syrer Mitte 40, der vor ein paar Monaten zu Fuß von Griechenland nach Österreich gekommen ist, schlägt auf die Trommel in seinen Händen. Sein Nachbar ist der junge Tiroler Clemens, der zum Gärtnern ins Waldhüttl kommt. Daneben sitzt Jovan, ein Roma, der Gitarre spielt und singt. Untertags musiziert er in der Stadt oder arbeitet als Erntehelfer bei einem Bauer in Thaur.
Es ist 1 Uhr nachts. Die Gruppe von 20 Leuten lässt das Roma-Fest, das sich den ganzen Tag und Abend im Garten und in der Scheune des Waldhüttls bei Tanz und Essen abgespielt hat, nun gemütlich im Tipi ausklingen. Bei Feuer und Musik ist es nebe sächlich, dass hier kaum jemand die Sprache des anderen spricht.
Khaled und zwei seiner Mitbewohner des Flüchtlingsheims Mentlberg, das sich nur ein paar hundert Meter unterhalb des Waldhüttls befindet, werden am folgenden Morgen wieder kommen. Diesmal nicht zum Feiern, sondern um das Stück Land umzustechen, das ihnen am Tag zuvor dort übergeben wurde. Es ist eines der ca. 30 Tandembeete, die es in dem Gartenstück östlich des Haupthauses gibt, und den heuer wieder neu dazugekommenen passionierten Gärtnern kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Ein paar Tage später helfen die drei Männer beim Aufbereiten des Gemeinschaftsackers, der vor allem mit Kartoffeln und Gemüsesorten bepflanzt werden soll; sie zimmern Holzbegrenzungen für Beete, reparieren den Zaun des Hühnerstalls und legen eine neue Wasserleitung in den Ententeich. Eigentlich verbringen die Männer, seitdem sie das erste Mal ins Waldhüttl gekommen sind, jeden Tag mehrere Stunden dort, um anzupacken, Leute zu treffen, Neues zu bauen. Da es im Waldhüttl eine Kapelle gibt, nicht aber einen Gebetsplatz für Muslime, wurde auf ihre Initiative hin beschlossen, eine kleine Moschee unweit des Haupthauses zu errichten. Damit ist das Ende 2012 gegründete Projekt Waldhüttl wieder um eine Facette reicher geworden, um einen neuen Lebensraum gewachsen…
Der Ursprung
Als ich vor ein paar Wochen den Gründungsvater des Projekts, den Innsbrucker Jussuf Windischer, zu einem Interview fürs Radio traf, sagte dieser schon in den ersten Minuten einen grundlegenden Satz: „Ich glaube, Widerstand ist auch eine Voraussetzung für ein freies Leben. Um die Menschenrechte umzusetzen und zu wahren, braucht es Widerstand.“ Es ist daher vielleicht kein Zufall, dass das Waldhüttl-Projekt ausgerechnet an einem Ort begründet wurde, an dem sich der Innsbrucker Widerstand gegen den Nationalsozialismus während des Krieges versammelt hat. Damals war das Gebäude ein Bauern- und Gasthaus. Durch seine Abgeschiedenheit am Waldesrand eignete es sich wohl als Treffpunkt der Gruppe, 1943 wurde sie jedoch verraten. Nur einer davon, der Innsbrucker Heinz Mayer, überlebte die Deportation ins KZ Buchenwald. Heute erinnert eine Gedenktafel an der Hauswand des Waldhüttls an diesen Pionier der Auflehnung gegen Rassismus und Faschismus.
Bei der Gründung des Waldhüttl-Projekts 13 Jahre nach Mayers Tod sollte dieser Widerstand aus heutiger Sicht weitergelebt werden. Aus dieser Motivation heraus und aus- gelöst durch eine Notlage von wohnungslosen Roma-Familien in Innsbruck wurde der fast verfallene Bauernhof von damals Mitte 2012 grundsaniert und erweitert. Das Haus und das umliegende Land waren schon seit längerer Zeit im Besitz des Stiftes Wilten, das den Grund nun als zukünftige Unterkunft für zeitweise in Innsbruck lebende Roma zur Verfügung stellte.
Wir kennen Roma in Innsbruck als Straßenmusiker in der Innenstadt oder als geduldige Zeitungsverkäufer vor den Supermärkten. Doch dass diese Menschen aus Rumänien oder der Ostslowakei während ihrer Aufenthalte in Innsbruck im Freien am Boden oder zusammengedrängt in einem Auto schlafen mussten, wollte kaum jemand bemerken. Auch dass es sich dabei zumeist um Familienväter handelt, die den größten Teil des Monats versuchen, in Innsbruck Geld zu verdienen, um es dann zu ihren Großfamilien nach Hause in die Dörfer zu bringen, wo es keine Arbeit gibt.
Jussuf, damals Leiter des Innsbrucker Integrationshauses, bemerkte die Not dieser Menschen und beschloss, sich zu engagieren. Zunächst öffnete er die Kapelle des Innsbrucker Integrationshauses als Notunterkunft für die Roma. Mit dem Zur-Verfügung-Stellen des Grundstücks Waldhüttl durch den Abt von Wilten konnte dann aber eine langfristige, bessere Wohnmöglichkeit für die Roma gefunden werden. Eine Vinzenzgemeinschaft unter der Obhut von Jussuf Windischer wurde gegründet. Nach einer umfangreichen Sanierung, an der vor allem die handwerklich sehr geschickten Roma selbst beteiligt waren, wurde das Wohnprojekt Waldhüttl im November 2012 eröffnet. Seitdem leben dort im Schnitt zwischen 15 und 30 Roma. Zusätzlich zum Wohnbereich der Roma wurde im oberen Teil des Hauses auch eine Herberge für vorbeikommende Pilger oder Rucksackreisende eingerichtet. Wenn Letztere, von denen die meisten aus Vergnügen reisen, mit Roma oder Flüchtlingen aus dem nahegelegenen Flüchtlingsheim Mentlberg aufeinander treffen, entstehen fruchtbare Begegnungen: „Es kamen schon die verschiedensten Menschen zu uns, Weltreisende, Aussteiger, Intellektuelle, Mönche, Fliehende, Jugendliche auf der Suche nach Abenteuer … es kamen auch schon Verrückte! Aber auch sonderbare Menschen gehören zum Leben…“, erzählt Jussuf mit einem Schmunzeln.
Außer den Vorbeikommenden sind es aber die Roma, die seit 2012 kontinuierlich das Waldhüttl bewohnen und hier ihr österreichisches Zuhause gefunden haben. Sie zahlen keine Miete, arbeiten im Gegenzug aber bei der Instandhaltung des Hauses und bei der Bewirtschaftung des Grundstückes mit, das mit einer Fläche von 6.000 Quadratmetern viele Nutzungsmöglichkeiten bietet.
Die erste Idee einer zusätzlichen Nutzung des Grundstücks ließ nicht lange auf sich warten: Das Vorarlberger Paar Daniel Baumgartner und Miriam Hammer, das schon kurz nach der Sanierung des Hauses als Projektkoordinatoren und Bezugspersonen für die Roma einzog, erfüllte sich hier einen lang gehegten Lebenstraum: einen großen Garten, den sie mit anderen gemeinsam bearbeiten wollten.
Es wächst…
Mit dem Gemeinschaftsgarten wuchsen Ökologisches und Soziales zusammen. Eine Gruppe von Leuten, die keine Mühen scheute, verwandelte die brach liegende Fläche rund um das Waldhüttl bis zum Sommer 2013 in eine grüne Oase. Seitdem sind rund 50 Gärtnerinnen und Gärtner an dem Gartenprojekt beteiligt und bewirtschaften zu zweit jeweils ein Beet. Seit heuer sind auch die Flüchtlinge von „nebenan“ dabei. Die restlichen Flächen werden gemeinschaftlich genützt, jeder kann Ideen einbringen, Initiativen setzen. Mehr als ein Projekt mit Generalplan und fixem Konzept wurde das Waldhüttl damit zu einem Ort, an dem Kreativität und Eigenengagement laufend Neues entstehen lässt.
Neben den Tandem-Beeten wuchs der Garten im Laufe der Zeit um viele andere Flächen und Räume: Eine „essbare“ Landschaft aus Obstbäumen und Beerensträuchern wurde konzipiert; ein Kräuter- und Geschenkegarten lädt Besucher und vorbeigehende Wanderer ein, sich etwas mitzunehmen, „denn auch die „armen“ Roma genießen es, etwas schenken zu dürfen“, erklärt Jussuf. Ein großer Gemeinschaftsacker im östlichen Teil des Grundstücks soll zusätzlich zu den Beeten Anbaufläche für Kartoffel und platzeinnehmende Gemüse wie Kürbisse oder Bohnen bieten. Selbstverständlich gibt es auch Tiere: Hühner und Enten, auch Bienenstöcke, die für die Bestäubung der Bäume und vieler Pflanzen unverzichtbar sind. Ein Ententeich, mehrere Biotope und ein Spielplatz mit Baumhaus sind Lieblingsplätze der Kinder, das Tippi mit Feuerplatz für Feste, Workshops oder andere Versammlungen genutzt wird. Seit letztem Jahr gibt es auch eine aus Holz gebaute Sauna im unteren Teil des Gartens mit integriertem Glashaus für tropische Pflanzen. Ein Experiment, wie Kai Längle erklärt. Er ist seit 2015 neuer Projektkoordinator und somit Nachfolger des Pionierpaars Daniel und Miriam. Der „Wellness- Bereich“ symbolisiert das, was Kai als eine die verschiedenen Aspekte des Waldhüttl- Projekts verbindende Idee bezeichnet: Wärme und Wohlgefühl. Das soll den Menschen, die ins Waldhüttl kommen, vermittelt werden.
Vom Geben und Nehmen
Beim Gärtnern geht es neben der Freude am Pflanzen und Ernten auch um Folgendes: Sich-Üben im Teilen und im Für- und Zusammenarbeiten; denn wer genau für welche Arbeit verantwortlich ist, und wann etwa die Früchte der essbaren Landschaft oder des Gemeinschaftsackers geerntet werden, ist nicht unbedingt im Vorhinein reglementiert, sondern entsteht im Gespräch oder als indi- viduelle Vereinbarung, die auch oft von eigenen Moralvorstellungen bestimmt wird. Der Grundsatz lautet: Jeder soll sich das nehmen, was er braucht. Hat man eine große Familie, dann kann und soll man auch großzügiger ernten dürfen als eine Einzelperson. Auch am Gemeinschaftsacker, am Kräuterbeet oder am Geschenkegarten darf sich jeder bedienen – auch dann, wenn man nicht regelmäßig an der Pflege des Bereichs teilgenommen hat. Denn vielleicht hat man sich dafür ja am Freihalten der Wege von Unkraut oder zum Beispiel an der Reparatur von Zäunen betätigt. Man kann es also wie ein Rad sehen, in dem Geben und Nehmen nicht eins zu eins abgegolten, wie wir es normalerweise durch das System des monetären Tausches gewöhnt sind. Vielmehr ist es die Fortführung eines dynamischen Ganzen, die Freude am Mitwirken und an der Entstehung gemeinschaftlicher Projekte. Das Prozesshafte sorgt für Spannung, denn niemand weiß genau, was morgen passiert. Es ist aber auch eine Herausforderung, denn oft gibt es verschiedene Interessen und Vorstellungen, die vereint werden müssen. Es ist ein Lernprozess in Sachen gemeinschaftlichen Agierens.
Die Ernte
„Durch den Gemeinschaftsgarten ist es gelungen, das etwas entlegene Waldhüttl zu beleben und es nicht zu einem ‚Sozialghetto‘ für Roma werden zu lassen“, erzählt Jussuf. Denn das Haus will nicht nur eine Herberge, sondern vielmehr ein Ort der Begegnung sein. Also, wie gelingt es, Menschen aus den unterschiedlichsten Sprachräumen und Religionen, mit ihren kulturellen Eigenheiten, zusammenzubringen? Bewusst wurden im Waldhüttl Orte geschaffen, wo Begegnungen auch abseits der Arbeit möglich sind: Im ehemaligen Zuhäusl des Bauernhofs wurde eine öffentlich zugängliche Kochstelle eingerichtet und eine mit Teppichen und Pölstern ausgebettete Lese- und Meditationsfläche geschaffen. Die an Haupthaus angebaute, etwas verfallene Scheune wurde von drei Architekturstudentinnen neu auf- und ausgebaut – sie dient heute als Veranstaltungsort für Feste, Konzerte, Filmvorführungen, Work- shops etc.
Im Sommer, wenn im Waldhüttl die „Abenteuer- und Friedenscamps“ für Jugendliche stattfinden, verwandelt sich ein Teil der Scheune in ein Matratzenlager. Für ein gemütliches Zusammensein am Nachmittag oder in lauen Sommernächten gibt es die Laube im Garten mit Pizzasteinofen und Feuerplatz. Das alles soll aber auch kein Zwang sein, betont Jussuf, es soll eher die Folge der Lust an Begegnung sein, des Interesses für den anderen. Veranstaltungen gibt es deshalb nur dann, wenn sie von jemandem aus Eigeninitiative gesetzt werden. Die Romafeste, die immer wieder stattfinden, werden selbstverständlich von den Roma selbst organisiert. Sie sind es dann auch, die kochen und musizieren.
Die Menschen, die heute das Waldhüttl-Projekt am Waldrand westlich von Innsbruck beleben und weiterdenken, sehen diesen Ort als eine Chance des Austausches unterschiedlicher Ideen und Fähigkeiten, als eine Talentebörse. Es ist aber auch ein Ort des sanften Widerstands gegen die Individualisierung unserer Gesellschaft, die Industrialisierung unserer Lebensmittel und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal anderer. Es ist ein stilles Gegenbeispiel zur Diskriminierung, die viele Minderheiten oder Asylsuchende erfahren. Im Waldhüttl sollen sich diese Menschen willkommen fühlen und Anteil haben an unserer Gesellschaft, aber auch einfach Ruhe finden können in der Natur, die für alle Menschen da ist.